Märchen

wie die Olchshautfetzen zu Asche verbrannten und wie aus Flammen und Rauch ein Elf hervortrat mit rotgelbem Haar und goldenen Augen und einer Haut, dunkel, wie verbrannt von der Sonne. Er war einst ein Feuerelf gewesen. Orbo, der keine Zeit hatte, schickte ihn auf dem Rücken des Fuchses zur Maunzenweiherinsel zurück. Er hörte aus der Ferne einen Schrei und war froh, denn das bedeutete, daß Leon, der schon weitergeflogen war, auch einen Olch-Elf befreit hatte. Und Orbo stieg wieder auf den Rücken des Uhu.

Auf der Insel im Maunzenweiher hatten sich inzwischen alle Spinnen des Waldes eingefunden und webten an einem riesigen Netz. Am Ufer war ein reges Kommen und Gehen. Lia, die Goldhändige, deren Federhaarschopf nickte und wippte, hatte ihr großes Nebeltuch ausgebreitet und darauf sammelten sich allerlei glitzernde, spiegelnde Dinge. Maulwürfe und Mäuse und Katzen und Kaninchen durchwühlten den großen Müllberg Monte Scherbelino, der mitten im Stadtwald aufgeschüttet war, nach Spiegelscherben und blanken Metallstücken, die sie in Zwergensäcke füllten. Die Rehe und Hirsche nahmen die vollen Säcke mit und schütteten sie dann auf dem Nebeltuch aus. Frösche und Kröten kamen mit Fischschuppen und Perlmuttmuscheln, mit kleinen Perlen und Goldkörnern. Käfer, Schnaken und Mücken brachten schimmernde Flügelstückchen.

Inzwischen waren nacheinander auf zwölf Füchsen zwölf goldäugige Elfen auf der Insel im Maunzenweiher angekommen. Sie wurden in Nebelkleider gehüllt und Lia gab ihnen Tau zu trinken, denn sie hatten brennenden Durst. Leon und Orbo trafen als Letzte ein. Wie zwei Sterne schwebten sie durch den nächtlichen Wald. Der Mond stand schon tief, bald würde er untergehen, die Zwölfte mahnte zum Aufbruch. Sie dankte den Tieren für ihre Hilfe, die Elfen schlugen das Nebeltuch mit dem Glitzerzeug zusammen, die Spinnen bissen die Fäden durch, die das große Netz an den Bäumen festhielten, die Elfen fingen es auf und legten es auf den Glitzerspiegelglimmerfunkelhaufen. Jetzt löste sich auch die Fledermaus von ihrem Ast und stieß lautlose Schreie aus, die nur Fledermäuse hören konnten. Die Nebelelfen hatten inzwischen die Flussnebel zu einer dicken, schweren Wolke zusammengeschoben, der Nachtwind, von der Zwölften herbeigepfiffen, hatte sie aufgehoben und zu dem Weiher gebracht, und nun wurde sie beladen mit der Tauschale und mit dem großen Ballen, auf den die Zwölfte etwas Feenstaub gestreut hatte, damit er so leicht wurde wie eine Feder. Sie bestieg das Wolkenschiff, die Elfen alle sprangen hinterher, der Oberelf blieb als einziger winkend zurück, um den Wald zu hüten, der Nachtwind trug die Wolke, die von vielen, vielen Fledermäusen umflattert wurde – und immer noch kamen Neue dazu -,

der Nachtwind trug die Wolke zum Fluß und bis zu der Brücke, die dem großen Bahnhof am nächsten war. Dort hüllte sie, wie dicker Nebel, alles ein, sodaß weder Mensch noch Tier und schon gar kein Olch sehen konnte, wie die Fledermäuse verschwanden und wie die Elfen, voran Orbo und Leon, am Ende des Zuges Lia und die Zwölfte mit dem Sonnenbrot, die Treppe betraten, die die Zwerge in einen der Brückenpfeiler gehauen hatten und die tief, tief unter die Erde führte und in einem Gang endete, in dem es vollständig finster war.

Am Fuß der Treppe wartete das Zwergenweiblein, das, wie die Elfen wohl wussten, eine der fünf weisen Zwerginnen war, die den Zwergenkönig beraten und das Kirataua genannt wurde. Kirataua ließ ein wenig Licht aus ihrer Laterne auf ihr Gesicht fallen und flüsterte leise, leise mit Orbo und Leon. Alles war vorbereitet. Die Fledermäuse hingen im Olchsfestsaal an der Decke und warteten, die 13 mal 7 Olchswachen waren von Zwergen umstellt, die die Olche, die sich so sicher fühlten, daß sie auf ihren Posten fast eingeschlafen waren, mit ihren Blendlaternen auf das Zeichen der Zwölften hin lähmen würden. 13 mal 7 Elfen wurden, jeder mit einer Krume Goldbrot losgeschickt. Leon, Orbo, Lia und die übrigen Elfen, angeführt von der Zwölften und Kirataua schlichen, die Tauschale und den dicken Sack mit Spinnennetz und Glitzerzeug zwischen sich, bis zum Versammlungsraum der Olche, der riesig war, so groß wie der Maunzenweiher mitsamt der Insel. Die Lichtelfen mit ihren leuchtenden Augen hielten den Kopf gesenkt, um sich nicht zu verraten, die Nebel- und Nachtelfen aber nahmen jetzt das große Spinnennetz und schwebten damit, leise, leise, hinauf in das Gewölbe, wo die Fledermäuse kopfunter hingen und es festhielten. Jeder der Elfen hatte ein Beutelchen mit spiegelndem Glitzerzeug, das sie nun an dem klebrigen Netz befestigten, dicht wie ein Mosaik. Die Olche unter ihnen, berauscht von dem Trank des Vergessens, grölten und knurrten und merkten nichts.

Da ließ ein Elf ein kleines Metallstück fallen. Es klirrte auf dem Steinboden. Für die Elfen klang es wie ein Donnerschlag, aber die Olche tranken unbekümmert weiter aus ihren schwarzen Bechern den schwarzen Wein. Das Netz, das an den Seiten des Saales bis auf den Boden fiel, wurde auch dort schnell mit Spiegelscherben besetzt. Dann rief die Zwölfte plötzlich: „LICHT!“ und streute schimmernden Sternenstaub über die Olche. Die Zwerge öffneten ihre Blendlaternen, Leon und Orbo hielten die Leuchtkristalle hoch über ihre Köpfe, Elmsfeuerchen brannten auf den Köpfen der Nebelelfen, die Zwölfte aber hatte ihren Mantel abgeworfen und stand da, glänzend und blendend wie eine weiße Flamme.

Und alle diese Lichter und dieser Glanz wurden vertausendfacht von dem Spinnennetz, das wie ein riesiger Spiegel mit tausend und abertausend Leuchtaugen von allen Seiten die Olche anstrahlte und gefangen hielt. Da gab es keinen Schatten, kein dunkles Plätzchen, wo sich die Olche hätten verkriechen können. Gelähmt lagen sie da, häßlich und schwarz. Aus den Gängen, in denen die Olchswachen gefangen worden waren, hörte man jetzt schon die Erlösungsschreie, und einer nach dem anderen wurden die Olche im Saal durch das Sonnenstaubbrot in Elfen zurückverwandelt. Lia mit den Goldhänden hatte gerade einen der Olche, die da auf- und übereinander in der Nähe des großen schwarzen Kessels lagen, in dem der Vergessenstrunk gebraut worden war – er war umgestürzt und sah aus, wie ein großer, schwarzer Soldatenhelm – Lia hatte gerade einem der dort liegenden Olche eine Sonnenkrume ins Maul geschoben und wollte die Elfe begrüßen, die da aus Flammen und Rauch auf sie zukam. Sie hob ihr Kleid ein wenig, denn da hatte sich eine klebrige Pfütze ausgebreitet, als sie plötzlich fühlte, wie eine Hand nach ihrem Fuß griff, eine hässliche, krallige Olchshand, die unter dem Kessel hervorkam. Sie schrie, aber wer würde sie hören, hier, wo aus tausend Kehlen Schreie kamen.

Die schrecklichen Klauen ließen sie nicht los, sie zogen sie durch die eklige, stinkende Pfütze immer näher zum Kessel. Lia glitt aus und fiel, sie konnte sich nicht wehren, nicht einmal mehr schreien. Aber einer hatte sie gehört, und das war Leon, der Blauhaarige, der schnell wie ein Pfeil heranflog, den Kessel beiseite warf, als wäre er eine Eierschale und mit seinem Leuchtkristall auf die schwarze Pfote hieb, die Lias Bein festhielt. Und dann stürzte er dem Wesen nach, das in einem Loch im Fußboden verschwand, als es mit einem Wutschrei Lias Bein fahren liess. Es gab da einen Geheimgang, von dem Orbo nichts gewusst hatte und auch die Zwerge nicht, und der Olch, der da vor Leons Licht floh, der größte und schrecklichste, den je ein Elf gesehen hat, kannte sich hier gut aus. Da gab es geheime Falltüren, die sich unter des Blauelfen leichtem Tritt plötzlich öffneten, schwarze Messer, die aus den Wänden fuhren, Netze, die von der Decke fielen, aber Leon schien das alles vorauszuahnen. Nichts konnte ihn aufhalten, und schließlich erreichte er den Olch, riss ihm die Binde ab, die der sich vor die Augen gelegt hatte und leuchtete mit seinem Kristall direkt in die Olchsaugen hinein, in Augen, die nicht schwarz und stumpf waren wie bei den anderen Olchen, sondern rot und böse funkelten. Und obwohl das Licht dem Olch wehtat, lähmte es ihn nicht, und mit einem gewaltigen Hieb seiner Tatzen schlug er dem zarten Elf den Kristall aus der Hand, der in eines der Löcher fiel, die sich im Boden aufgetan hatten. Und dann packte er nach Leon. Aber der war schon längst hochgesprungen und hielt sich an einem Eisenhaken, der in der Decke befestigt war, fest. Leon, der Lichtelf, der allein mit seinen goldenen Augen die Olchshöhle erleuchten konnte, Leon, der Listige, sah sich ruhig um, denn hier oben konnte der Oberolch, denn das mußte er sein, ihm nichts anhaben. Schwarzer, stinkender Moder überall. Leon schüttelte sich vor Ekel, und etwas von dem Feenstaub, den die Zwölfte ausgestreut und der sich in seinem Haar gefangen hatte, rieselte auf den Olch, der vor Schmerzen aufjaulte und dessen Haut große Blasen bekam und der nun nach einem langen schwarzen Schwert griff, das an der Wand lehnte. Aber Leon war schneller. Er war ja ein Lichtelf! Und alle Sonnenkraft, die in ihm war brach aus dem Finger, mit dem er das Schwert berührte, gerade als der Olch danach griff. Da wurde es weißglühend, der Olch jaulte wieder, und da warf ihm Leon das Sonnenkrümchen, das er die ganze Zeit fest in der einen Hand gehalten hatte, ins Maul.

Kaum war das geschehen, schien eine gewaltige Kraft den Olch hochzuheben. Er durchbrach die Decke des Ganges, als sei sie aus Glas. Er wurde riesengroß, bekam Stacheln und Hörner und stieß mit seinem Kopf fast an die Decke des Olchpalastes. Flammen schlugen aus Nase und Maul. Er wollte die Elfen greifen und zerreißen, aber da stand die Zwölfte und wuchs, wurde eine klare, helle Flamme, nein nicht eine, tausende, denn die Spiegel warfen ihr Bild tausendfach zurück, und dann hob sie die diamantene Schale mit dem Tau hoch über ihren Kopf und schüttete ihn über das Ungetüm. Der Oberolch fiel in sich zusammen, die Olchshaut kräuselte sich und löste sich auf, eine schwarze Rauchwolke stieg auf, und Russflöckchen schneiten auf den Boden, und das war alles, was von dem großen Olch übrigblieb.

Die Zwölfte sammelte den Ruß auf, Flöckchen für Flöckchen, Stäubchen für Stäubchen und übersah keines. Und den Ruß legte sie in Lias goldene Hände, und kaum hatten die die Asche berührt, da wurde sie schneeweiß. „Nun ist es gut!“ sagte die Zwölfte. Oder sang sie es? „Streu die Asche hier auf den Boden und sieh zu, was geschieht.“ Und die Asche legte sich wie ein glänzender Teppich über die schwarzen Steine, die klebrigen Pfützen verschwanden, der Kessel war auf einmal golden und mit feinen Bildern geschmückt, das Spiegelnetz, das die Fledermäuse so getreulich festgehalten hatten, schmiegte sich von selbst an Wände und Decke und nun erkannte man erst, wie schön es war. Silberne und goldene Blumen sah man da, leuchtende Gestalten, Tiere und Elfen, die sich vor riesigen Spiegeln zu bewegen schienen. Es war der schönste Saal, den man sich denken kann, und er schien sich auszudehnen. Große Flügeltüren öffneten sich auf Säulenhallen und glänzende Gemächer, alles war durchweht von Rosenduft, und die Elfen und die Zwerge und die Fledermäuse feierten hier ein großes Fest mit Tanz und Gesang bis der Morgen dämmerte.

Nur Lia und Leon, Orbo und die Zwölfte blieben nicht lange. Die Zwölfte war müde. Sehr müde. Sie würde wohl hundert Jahre schlafen müssen, aber das konnte sie nun ohne Sorge tun, denn Lia, Leon und Orbo würden wachen.

Sie nahmen die Tauschale und den Leuchtkristall und flogen, vom Nachtwind getragen, zurück zu der Insel im Maunzenweiher, wo Kirataua und der Oberelf sie schon erwarteten. Kirataua hielt einen Leuchtkristall in den Händen. Leons Leuchtkristall, der beim Kampf mit dem Großen Olch ins Bodenlose gefallen war. Nicht ganz ins Bodenlose: Die Feuerzwerge hatten ihn aufgefangen, denn er war direkt in eine ihrer Schmieden gestürzt. Orbo wollte ihr auch seinen Leuchtkristall geben, aber sie nahm ihn nicht an. „Der Zwergenkönig läßt euch grüßen. Ihr sollt die Kristalle behalten. Verwahrt sie gut! Wer weiß, wozu ihr sie noch einmal braucht!“ Damit überreichte sie Leon den Kristall und verschwand.

Die Zwölfte umarmte Lia und strich ihr übers Haar, das von dem Olchswein, durch den sie geschleift worden war, ganz verklebt war, und gleich glänzte es heller als je zuvor, sie zog aus ihrer Tasche einen goldenen Reifen, der mit einem Stern geschmückt war und setzte ihn Leon auf die blauen Locken, sie nahm Orbo, ihren Sohn, bei der Hand und flog mit ihm in ihr Buchenstübchen, denn bevor sie sich ausruhte, wollte sie seine Olchsgeschichte hören. Und jetzt rief Leon alle Nachttiere herbei, jedes in seiner Sprache und erzählte ihnen von dem großen Kampf und dankte ihnen. Er verbeugte sich vor dem Oberelf, der da immer noch würdig mitten auf der Insel stand und nicht recht begriff, was vor sich ging, und lächelte ihn an: „Kein Olch wird mehr beim Mondstrahlrutschen stören. Komm, Lia!“

Und er fasste die Goldhändige, die Federhaarige, zog sie mit sich und kletterte mit ihr auf einem Mondstrahl, denn der Mond war noch nicht untergegangen, hoch, hoch bis über die Wolken, und dann setzte er sich rittlings auf einen Strahl, der weit weit im Süden, wo etwas blau glitzerte, auf der Erde aufkam und sauste, die lachende Lia vor sich, dem Blautopf entgegen.

Und natürlich könnte ich Dir noch viel von Leon, dem Mondstrahlrutscher und von Lia mit den goldenen Händen erzählen, und vielleicht tu ich es eines Tages. Aber der Mond geht unter, Lia und Leon liegen schon in ihren Rosenbetten im Elfenkönigsschloss an der Quelle der Blau, und ich muß auch ein bisschen schlafen.

Gute Nacht!